Ahana A. Fernandez
Wir kennen den Begriff „social distancing“ mittlerweile nur zu gut aus unserem eigenen Leben. Abstandhalten, wenn man sich krank fühlt, praktizieren allerdings nicht nur Menschen – es kann auch bei Fledermäusen beobachtet werden. Diese Freilandstudie von Ripperger et al. bestätigt was zuvor an Tieren in Haltung gezeigt wurde: kranke Vampirfledermäuse verbringen weniger Zeit in der Nähe von gesunden Artgenossen, was die Ausbreitung einer Krankheit verlangsamen kann. Das Kontaktverhalten von Vampirfledermäusen im Feld konnte dank Hightech-Tiertrackern hochauflösend verfolgt und analysiert werden.
Die Ausbreitung einer Krankheit in einer Population kann durch Änderungen im Sozialverhalten stark beeinflusst werden – positiv sowie negativ. Die Übertragungsrate einer Krankheit steigt an, wenn Parasiten das Verhalten ihrer Wirte beeinflussen – und sie sinkt, wenn sich kranke und gesunde Individuen aufgrund der Krankheit anders verhalten. Ein Beispiel einer solchen (positiven) Verhaltensänderung ist „social distancing“, eine Verhaltensänderung die sowohl „aktiv“ wie auch „passiv“ erfolgen kann. Aktives distanzieren bedeutet, dass kranke Individuen gemieden werden und/oder sich selbstständig von Gesunden isolieren. Das Vermeiden von Kontakt mit kranken Artgenossen wurde bisher beispielsweise in Hummern, Mäusen und sogar bei Kaulquappen beobachtet. Auch der Mensch ist dazu in der Lage aktiv Sozialkontakte mit Kranken zu vermeiden und bewusst sein soziales Netzwerk (mit wem man sich trifft) zu ändern. Passive Distanzierung hingegen beruht auf den natürlichen Folgen einer Krankheit: kranke Individuen sind oft lethargisch und schläfrig und bewegen sich daher viel weniger – und treffen folglich auch weniger auf Artgenossen. Diese passive Reduktion von Sozialkontakten basiert nicht auf kooperativem Verhalten, sondern passiert automatisch.
Passives „social distancing“ wurde in dieser Studie beim gemeinen Vampir, Desmodus rotundus, untersucht. Man weiß aus verschiedenen Studien, dass diese geselligen Tiere äußerst sozial sind – das bekannteste Beispiel dafür ist das Teilen einer Blutmahlzeit mit unverwandten Tieren. Die Verbreitung von D. rotundus reicht von Mexiko bis Südamerika und die Tiere versammeln sich zu hunderten in ihren Tagesquartieren (oft in hohlen Bäumen) wo sie tagsüber miteinander interagieren. Nachts fliegen die Tiere am frühen Morgen aus um zu furagieren. In dieser Studie hat ein internationales Forschungsteam ein Experiment an Vampirfledermäusen im Freiland durchgeführt, um die passive Form von „social distancing“ und die daraus resultierenden Folgen für soziale Bindungen zwischen Individuen zu untersuchen.
Es wurden 31 Weibchen aus einem hohlen Baum in Belize gefangen um bei der Hälfte der Tiere eine bakterielle Infektion zu simulieren. Der Testgruppe wurde eine Substanz aus Lipopolysacchariden (LPS) injiziert. LPS verursacht für sechs bis zwölf Stunden Krankheitssymptome – natürlich ohne dass die Tiere Schaden nehmen. Der Effekt verschwindet nach spätestens 48h wieder. Aus Studien in Haltung weiß man, dass LPS dazu führt, dass Tiere lethargisch werden, weniger Fellpflege betreiben und auch ihre soziale akustische Kommunikation (das heißt die Produktion von Kontaktrufen) einschränken. Der Kontrollgruppe wurde eine Kochsalzlösung injiziert. Direkt im Anschluss wurden alle Tiere mit neuartigen Näherungssensoren ausgestattet und wieder in die Freiheit entlassen. Diese Näherungssensoren sind extrem leichte Sensoren (1.8g inklusive Batterie und Gehäuse) und senden alle 2 Sekunden ein Signal aus. Dieses Signal führt nun dazu, dass sich Sensoren die sich auf 5-10m annähern einander aus dem „sleep mode“ wecken. Solange sich die Sensoren so nahe sind zeichnen sie kontinuierlich auf, welche Individuen sich wie lange wie nahekommen. Während drei Tagen wurden die Sozialkontakte der 31 Tiere dokumentiert. Basierend auf diesem hochauflösenden Datensatz wurde ein dynamisches soziales Netzwerk berechnet, welches Veränderungen in den sozialen Kontakten zwischen kranken und gesunden Individuen aufzeigte.
Die Resultate dieser Studie zeigten, dass das Verhalten von kranken Vampiren die sozialen Netzwerke signifikant veränderte. Tiere mit Krankheitssymptomen assoziierten deutlich seltener mit Gruppenmitgliedern und verbrachten weniger Zeit mit ihnen. Diese Effekte wurden nach der Krankheitsphase kleiner und verschwanden nach 48 h. Zugleich wurde die Wahrscheinlichkeit, dass kranke und gesunde Vampire überhaupt miteinander in Kontakt kommen, geringer. Passives „social distancing“ ist also auch bei Vampiren gezeigt worden und dient als wirkungsvoller Mechanismus zur Einschränkung von Krankheiten. Kranke Tiere haben sich aber nicht bewusst isoliert, sondern sind aufgrund ihrer Krankheitssymptome (Lethargie, Immobilität) automatisch weniger mit gesunden Vampiren in Kontakt gekommen. Die reduzierte Bereitschaft zur gegenseitigen Fellpflege und die Reduktion von Soziallauten hat sicherlich auch dazu beigetragen, dass diese kranken Tiere weniger Sozialkontakte hatten.
Außerdem kann ein solcher Datensatz dazu dienen, verschiedene Übertragungsszenarien potentieller Erreger (z.B. unterschiedliche Dauer eines Treffens und die Distanz zwischen Tieren) und deren Folgen auf die potentielle Verbreitung einer Krankheit durch ein Netzwerk zu simulieren. Diese theoretischen Simulationen könnten vom großen Nutzen sein, wenn es darum geht die Verbreitung sowie die Verhinderung einer Krankheitsausbreitung zu verstehen. Diese Studie zeigt also auch sehr schön auf, dass diese Hightech Näherungssensoren neue Möglichkeiten zur Datenanalyse schaffen. Diese Studie zeigt zweierlei. Erstens, dass es wichtig ist, Ergebnisse aus Studien von Tieren in Haltung im Freiland zu reproduzieren um die Allgemeingültigkeit der Ergebnisse zu verifizieren. Zweitens, dass technologischer Fortschritt dazu führen kann dass man dynamische soziale Interaktionen minutiös verfolgen kann und somit die Möglichkeit bietet, neue Erkenntnisse über Muster und Prozesse zu gewinnen, die der Verbreitung von Krankheitserregern zugrunde liegen.
Zur einer akutellen experimentellen Studie im Freiland am gemeinen Vampir, Desmodus rotundus:
Ripperger, S., Stockmeier, S. & Carter, G. (2020): Tracking sickness effects on social encounters via continuous proximity sensing in wild vampire bats
Behavioral Ecology, DOI: 10.1093/beheco/araa111