Neu auftretende Infektionskrankheiten können zu einer ernsten Bedrohung für wildlebende Tiere werden, ein bekanntes Beispiel ist die Weißnasenkrankheit (engl. White-nose disease oder white-nose syndrome), bei der der kälteliebende Pilz Pseudogymnoascus destructans Fledermäuse während des Winterschlafs befällt, in die Haut eindringt und damit Schäden verursacht. In Nordamerika hat die Krankheit bereits zum Tod von Millionen von Fledermäusen geführt. P. destructans stammt höchstwahrscheinlich aus Europa, wo er ebenfalls Läsionen hervorruft, jedoch bislang offensichtlich keine Todesfälle verursacht.
Es ist jedoch noch unklar, wie das Immunsystem europäischer Fledermäuse dieser Pilzerkrankung langfristig begegnet. Auch wenn es hier momentan keine letalen Verläufe der Krankheit gibt, könnte der pathogene Pilz mutieren und möglicherweise schädlichere Stämme hervorbringen oder Umweltveränderungen können die Fledermäuse soweit schwächen, dass sie stärkere Symptome zeigen. Auch ist bislang noch unklar, welche Folgen die Erkrankung hat, die man vielleicht noch nicht erkannt hat. So könnten Todesfälle nach der Überwinterung auftreten oder es negative Effekte auf die Reproduktion geben.
Es ist deshalb angebracht, Infektionen mit P. destructans auch in Europa vorsorglich langfristig zu überwachen, was auch von EUROBATS seit längerer Zeit gefordert wird (Barova & Streit, 2018). Hierfür ist es wichtig, über Instrumente zu verfügen, die den Krankheitsverlauf genau beschreiben. Da der Winterschlaf ein physiologischer Zustand ist, in dem Fledermäuse empfindlich auf Störungen reagieren, sollten in-situ-Bewertungen des klinischen Zustands minimalinvasiv durchgeführt werden, um nachteilige Auswirkungen auf Fledermäuse zu vermeiden. Die beiden bislang weltweit gängigen Methoden zur Krankheitsbewertung der Weißnasenkrankheit erforderten jedoch die Berührung von Fledermäusen und sind daher invasiv: 1) Durchleuchtung der Flügelmembranen mit UV-Licht zum Nachweis von Läsionen und 2) Quantifizierung von Pilzmaterial aus Flügelmembranabstrichen mittels qPCR.
Nachdem bereits 2012 ein visuelles Schema entwickelt wurde, um die Befallsgrade des Erregers der Weißnasenkrankheit auf winterschlafenden Fledermäusen zu beschreiben, wurde diese Methodik weiterentwickelt und wissenschaftlich verifiziert und als „visueller Pd-score“ bezeichnet. Diese nicht-invasive Methode eignet sich für ein großflächiges Monitoring der Weißnasenkrankheit, da sie ohne Störung der Tiere angewendet werden kann. Sie basiert auf einer visuellen Klassifizierung (Skala 0-4), die den Fortschritt des Befalls (Befallsstadien) bzw. den klinischen Zustand der Tiere beschreibt. Der visuelle Pd-Score eignet sich besonders für routinemäßige Winterquartierzählungen oder für ein groß angelegtes P. destructans-Monitoring. Wir haben hierzu ein Schema angefertigt, welches für die standardisierte Einstufung herangezogen werden kann (siehe weiter unten).
Übrigens: Die meisten Krankheitsfälle treten zum Ende des Winters im Februar und März auf, wenn viele Winterquartierzählungen bereits abgeschlossen sind. Es wird also vorgeschlagen, Ende Februar/Anfang März entsprechende Kontrollen durchzuführen (hauptsächlich Mausohr-Winterquartiere) und den klinischen Zustand der Tiere zu dokumentieren. Ein ausführlicher Artikel zu diesem Thema erscheint in der nächsten Nyctalus-Ausgabe.
Das Schema zur Bestimmung des klinischen Zustands kann hier bereits heruntergeladen werden:
Original-Studien:
Fritze, M. (2022): Aktueller Wissensstand und langfristige Überwachung der Weißnasenkrankheit bei überwinternden Fledermäusen . Nyctalus 20 (1), akzeptiert.
Fritze, M., S. J. Puechmaille, J. Fickel, G. Á. Czirják, C. C. Voigt (2021): A rapid, in-situ minimally-invasive technique to assess infections with Pseudogymnoascus destructans in bats. Acta Chiropterologica 23, 259–270.
Fritze, M., T. L. H. Pham, B. Ohlendorf (2012): Untersuchung der ökologischen Wachstumsbedingungen des sich auf Fledermäusen ansiedelnden Pilzes Geomyces destructans. Nyctalus 17, 146–160.